"Wenn du schnell gehen willst, gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, gehe gemeinsam".

Afrikanisches Sprichwort

 

Systeme

 

Für meine Verstehensarbeit ist ganz zentral, dass Menschen sich in Gemeinschaften, Gruppen, Clans aufhalten und aus diesen in ganz eigener Weise hervorgehen. Sie sind sehr wesentlich das Ergebnis dieser Erfahrungen und bringen diese in ihre aktuellen Bezüge ein. Zudem handeln Menschen auch immer im Zusammenhang einer Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen und versuchen diese zu erhalten (auch wenn es überhaupt nicht danach aussieht). Sie spielen nicht zufällig innerhalb ihrer jeweiligen Systeme eine bestimmte Position, nämlich die, die sie verinnerlicht haben, weil sie einmal erfolgreich oder hilfreich war. Zum Beispiel, weil bestimmte Muster in der Kindheit funktional waren, um (psychisch) zu überleben. Nicht selten passen diese tief eingespurten Überlebensstrategien nicht in die Gegenwart, nicht zu den jetzt aktuellen Menschen und verhindern damit befriedigende Beziehungen.

Konflikte, Schwierigkeiten und Störungen sind aus dieser Sicht als das unerwünschte Ergebnis dieser Dynamiken und Prozesse nachvollziehbar, vor allem wenn man mitbedenkt, dass es ja um etwas geht: Nämlich um unsere (psychischen) Bedürfnisse, die wir besonders in intimen und nahen Beziehungen adressieren. Wenn dann sozusagen noch Rechnungen aus der Kindheit oder vorangegangenen Beziehungen offen sind, versuchen nicht wenige, dieses Defizit mittels ihrer aktuell Nächsten auszugleichen. Die Fähigkeit sich selbst zu regulieren und zu versorgen, kommt ganz entscheidend zum Tragen. Viele Männern, auf die ich weiter unten noch zu sprechen komme, zeigen oft einen sozialisations- und kulturbedingten Mangel an - ich nenne es mal -  Nahbarkeit. Sie machen sich dann von der Emotionsarbeit ihrer Partnerinnen abhängig und geraten in eine verhängnisvolle Schleife aus Abhängigkeit und Entwertung. Darunter leiden dann alle Beziehungen innerhalb des Systems.

Denn darum geht es aus meiner Sicht: Um Beziehungen, echten Kontakt und Resonanz. Psychologie wandelt sich vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse mehr und mehr zur Lehre gelingender Vergemeinschaftung. Die Fähigkeit, Beziehungen zu führen, so wie wir aktiv ein Leben führen, ist deshalb eine der drei Säulen echten Lebensglücks, wie u.a. Dami Charf sie beschreibt.

                     

                                                                     Komplex denken, einfach handeln

In systemischen Gedankenwegen laufen diese Ebenen ineinander und Zusammenhänge werden verstehbar, Irrationales wird erklärbar. Lösungen können entwickelt, Ressourcen (wieder) genutzt werden. Die Wirkung kleiner Veränderungen, die ja bekanntlich immer mit dem ersten Schritt beginnen, sind immer wieder erstaunlich und faszinierend. Wie der berühmte Schmetterlingsflügelschlag oder das Mobile´ es als Bild verdeutlichen.

Von Wegen meint beides: Die Wege, die neu sind und ein Stück begleitet werden und - "von wegen!" - den Widerstand und die Auflehnung gegen Routinen, Muster und Zwänge, der dafür nötig ist. 

 

Einer der prägendsten Einflüsse sind unsere ersten Erfahrungen von Bindung und Autonomie.

Bindung 

Die bahnbrechenden Erkenntnisse zu dem großen Menschenthema "Bindung" sind aus Beratung, Therapie und Pädagogik nicht mehr wegzudenken. Jede und jeder hat, vorgeprägt ( und keineswegs unabänderlich) aus den frühen Erfahrungen von Bindung und Autonomie, eine Richtung eingeschlagen.

Sicher gebundene Menschen können sich in Beziehungen lustvoll auf Abhängigkeiten einlassen und gleichzeitig ihre Autonomie behaupten. Ihre sogenannten Arbeitsmodelle, die sie an ihren Eltern gesehen und selbst erleben dürften, bieten einen gesunden Schutz vor übermäßiger Abhängigkeit einerseits und übersteigertem Autonomiestreben andererseits. Sie sind auf Beziehungen vorbereitet und können gleichzeitig deren Ende gut bewältigen. Was nicht automatisch bedeutet, dass sie wissen wie es geht. Sie sind aber durch ihre Arbeitsmodelle und Erwartungen recht gut geschützt. Es konnte Urvertrauen entstehen, denn das authentische Selbst war willkommen.

Unsichere Bindungstypen hingegen hatten nicht so viel Glück und wurden nicht so versorgt, wie es wünschenswert gewesen wäre. Oder sie wurden sogar beschädigt, abgewertet und im Stich gelassen. Sie haben in der Folge vermeidende oder ambivalente Muster entwickelt. Ihre Erwartungen, Vorstellungen und Neigungen, die sie in ihre Beziehungen mitbringen, machen es mehr oder weniger schwer, ein stabiles System zu unterhalten. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass sich die Bindungsmuster, nicht klar und eindeutig voneinander abgrenzen lassen und sich vor allem graduell, d.h. in verschiedenen Ausprägungen zeigen. Dennoch hat jeder Mensch in den ersten drei Lebensjahren eine Vorbahnung erfahren, die die Lebensgeschichte prägte.  

Und: Bindungsmuster sind, sofern sie reflektiert sind, korrigierbar, zumindest balancierbar. Korrigierende Erfahrungen sind zu jedem Zeitpunkt möglich, wie alles im Leben sich wandelt und bewegt. Es macht im Übrigen einen sehr großen Unterschied, ob Menschen ein eher starres oder flexibles Persönlichkeitskonzept haben. Aus der Persönlichkeitsforschung weiß man, dass sich Persönlichkeit ein leben lang wandelt und anpasst. Für gelingende Veränderungsprozesse ist die eigene Annahme über Wandelbarkeit ein mitentscheidender Wirkfaktor. 

Es ist also von großem Vorteil, die eigenen Bindungsmuster zu kennen. Dass unsere Systeme (uns) halten ist keinesfalls selbstverständlich und nicht alleine abhängig von der richtigen Selektion, sondern zum weitaus größeren Teil von uns und unserer Bereitschaft zu Selbstarbeit.

Schließlich sind wir das Einzige, das wir wirklich verändern können. 

Besonders in Paarbeziehungen zeigen sich die Bindungsmuster.

Paare

Die Wahl des Menschen, an den wir uns langfristig binden ist kein Zufall. Unser Unterbewusstsein entscheidet über Attraktion und Anziehung, denn die Wahl verspricht einen bestimmten Benefit. Dies können, wie weiter oben bereits angedeutet, Bedürfnisse sein, die nicht ausreichend befriedigt waren und werden. Menschen suchen sich zudem Partner, die sie komplettieren und mit denen sie eigene Defizite auszubalancieren suchen. Und schließlich verbinden uns unsere Bindungsmuster, weil sie sich ähneln oder ergänzen. Der Mythos von der selbstlosen Liebe, die alleine aus Anziehung und Hingabe besteht ist der Realität der meisten Paarbeziehungen recht fern, spätestens nach einer gewissen Zeit. Das klingt zugegebenermaßen sehr unromantisch. Romantik und befriedigende Partnerschaft sind aber vor allem das Ergebnis realistischer Einschätzung. Dazu gehört ganz wesentlich eine gute Differenzierung derjenigen Bedürfnisse, die adressiert werden dürfen von denjenigen, die eher in die Selbstsorge und Selbstarbeit gehören.

Wenn die Partnerin/der Partner die kalte Flasche Cola in der Wüste ist, trägt die Beziehung eine Bedürfnislast, die es langfristig schwer werden lässt und die Verbindung oft zum Scheitern bringt.

Verlassensängste mit ihren Symptomen wie übermäßiger Kontrolle, Eifersucht etc. sind in der Regel ein Ergebnis unserer ersten Bindungserfahrungen und den Annahmen über uns selbst. Die andere Seite der Medaille sind die Schwierigkeiten, sich auf Nähe einzulassen und enge Beziehungen als Einschränkung zu erleben. Beide Muster sorgen für enormen Stress und verstärken sich gerne wechselseitig. 

Ein besonderes Phänomen sind narzisstische Verstrickungen, bei der die Nährung nur eines Partners das Szenario dominiert und  Abwertung, Abhängigkeit und Machtstrategien das Beziehungsgeschehen bestimmen.  Und selbst hier gilt es - vielleicht in ganz besonderem Maße - die eigenen Anteile und Muster zu verstehen und es nicht bei Täter-Opfer Zuschreibungen zu belassen.

Hier kommen Traumatisierungen, kleine und große T´s, sprich Traumatisierungen durch Bindungsfrustrationen und anderer Bedürfnisse oder aber schwerere Verletzungen, wie sie durch manifeste Übergriffe und Mißhandlungen entstehen ins Spiel. Aber nicht erst hier, wie weiter unten ausgeführt wird.

Wie eingangs behauptet: Partnerwahl ist kein Zufall

Zwei Faktoren sind in Beziehungen von Bedeutung:

Die Art und Qualität , mit der Bedürfnisse wechselseitig befriedigt werden.

Das Vertrauen, sich verletzlich zeigen zu dürfen.

Dafür braucht es s aus meiner Sicht ein gesundes Maß an Autonomie, Selbständigkeit und Selbstverantwortung innerhalb der Beziehung. Das klingt dann nicht mehr paradox, wenn man sich noch einmal ganz klar vor Augen führt, dass Beziehungen freiwillige Übereinkünfte sind und , zumindest theoretisch, jederzeit beendet werden können. Niemand schuldet dem anderen tatsächlich etwas.

Ich verfolge neben dem offenen, geschützten Dialog und dem Erzählen der guten Geschichte einen Differenzierungsbasierten Ansatz, wie ihn u.a. David Schnarch entwickelt hat. Dabei geht es im Kern um das Lösen von sogenannten Verstrickungen. Der Begriff ist von Salvador Minuchin in die Familientherapie eingebracht worden und umfasst alle Formen von stillen und offen Verträgen zwischen Familienmitgliedern und Generationen. Auf Paarebene entstehen Verstrickungen deshalb so leicht, weil die Grenzen in intimen, erotischen Beziehungen schnell diffus werden. Die oben genannten Verletzungen und Defizite aus den frühen Bindungserfahrungen werden dann an die Partnerin/den Partner delegiert und es entsteht eine von Schuld getragene Verbindung.

Das ist aber eigentlich genauso, als würden sie im Restaurant irgendeinen Menschen ansprechen und von ihm fordern, dass er sie zum Essen einlädt, weil er ihnen das schuldet.

Die Eigenheiten und Grenzen wieder in den Fokus zu rücken und das Wagnis einzugehen, den anderen loszulassen, kann ein guter Ansatz sein, aus dieser Verstrickung auszusteigen.

Hinter den Verstrickungen stecken sehr häufig Traumata, ein weiteres großes Menschenthema, vor dem man nicht die Augen verschließen sollte.

Trauma

"Traumareaktionen sind normale Reaktionen auf nicht normale Ereignisse" Victor Frankl

 

Traumata sind aus meiner Sicht ein integraler Bestandteil menschlichen Lebens. Die meisten Menschen haben traumatisierende Erfahrungen gemacht und kommen in ihrem Leben gut zurecht. Traumata, vor allem die kleinen T´s, wie Gabor Maté sie nennt, sind mehr oder weniger normal. Heute geht man, wenn Folgestörungen beobachtbar werden, davon aus, dass es singuläre, also einzelne Trauamatisierungen nicht gibt. Es kommt eher zum sogenannten "bloc building", bei dem sich traumatisierende Erfahrungen aufschichten. Um nicht zu weit auf das große und spannende Feld der Traumata vorzudringen, seien hier zwei relevant Faktoren benannt:

Traumata wirken sich auf die Beziehungsgestaltung der Menschen aus.

Der menschliche Organismus sucht Wege, damit zu leben, indem er reinszeniert und wiederholt.

Traumata, vor allem Bindungstraumata, die das Ergebnis (nicht nur) kindlicher Frustrationen sind, gehören für mich deshalb zu den zentralen Gesichtspunkten, wenn es darum geht, Geschichten zu verstehen. Systemische Traumaarbeit denkt ganz wesentlich mit, dass Traumata das Zusammenleben mitprägen oder sogar dominieren können.

In ihrem Buch "Wenn ich dich brauche, um mich zu lieben." beschreibt Kathi Körner sehr dezidiert die verschiedenen Konstellationen, die  sich ergeben können. 

Es kann deshalb sehr hilfreich sein, die Verletzungen und die Annahmen über sich, die sogenannten Glaubenssätze, in den Blick zu nehmen und Lösungsstrategien zu verändern. Mit Lösungsstrategien sind alle Verhaltensmuster gemeint, die herangebildet wurden, um (psychisch) zu überleben. Für den Komplex der Traumatisierungen bedeutet dies vor allem eine Anpassungsleistung, bei der es darum geht, neue Verletzungen zu vermeiden. Deshalb entwickeln Menschen einen besonderen Fokus, der dazu dient, potentiell schädigende Situation möglichst früh zu erkennen und zu vermeiden. Traumafolgen sind demzufolge Anpassungsleistungen, die das Überleben und die weitere Unversehrtheit sicher stellen sollen. Sie werden dann zum Problem, wenn die Folgen dysfunktional werden, weil sie behindern oder sogar schädigen wie z.B. bei Abhängigkeiten.

Es ist deshalb sehr aufschlussreich, Bedürfnisse und Strategien sauber voneinander zu unterscheiden.  

Wenn Kinder ihre Bindungsfrustrationen, Entsagungen, Zurückweisungen oder Beschämungen, Bloßstellungen und Beschädigungen damit lösen, dass sie kleinste Stimmungsveränderungen wahrnehmen und sich sofort anpassen, hat das als Strategie einmal gut funktioniert. Wenn aber aus dem Erwachsenen ein "people pleaser" geworden ist, der es immer allen recht machen muss, entsteht früher oder später ein Problem. Leider werden diese "stillen Kinder" gerne übersehen und selbst von vielen Profis falsch eingeschätzt. Die lauten Jungs, die ihre traumatisierenden Systeme zurückverstören, werden viel früher wahrgenommen. Zum Glück können heute viele Pädagogen deren Not sehen und umsichtig reagieren.

So normal Traumata auch sind -sie werden von resilienten Menschen, also solchen mit guten Widerstandskräften und Schutzfaktoren,  oft gut integriert - so beeinträchtigend sind sie für viele andere. 

Als soziale Wesen sind wir dem Risiko, nicht gut versorgt oder sogar verletzt zu werden zwar ausgesetzt, wir sind aber ebenso dazu befähigt, in Gemeinschaft zu heilen und uns zu korrigieren. Dafür ist aus meiner Sicht ein sehr niedrigschwelliger Blick günstig, der den "guten Grund" zu erkennen sucht und Überlebensstrategien würdigt.  Systemische Traumaarbeit nimmt in hier nur skizzierten Ideen